Seit 2017 kann Cannabis in Deutschland als Therapieoption für Patienten verwendet werden. In diesem Zusammenhang gewinnen Cannabisblüten und -extrakte zunehmend an Bedeutung und verdrängen bestehende Fertigarzneimittel auf reinem THC-Basis aufgrund ihrer verbesserten Verträglichkeit und natürlichen Wirkungsweise.
Generell gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten für die Anwendung der Cannabistherapie: die Inhalation von Cannabisblüten mithilfe eines medizinischen Vaporisators und die orale Einnahme von öligen Cannabisextrakten. Im Folgenden möchten wir die Pharmakokinetik beider Anwendungsformen vergleichen und ihre Praktikabilität im Alltag beleuchten.
Inhaltsverzeichnis
Pulmonale Applikation
Verdampfer
Bei der Aufnahme mittels Verdampfer (Vaporizer) werden die Cannabisblüten in zerkleinertem Zustand auf Temperaturen zwischen 180° C und 210° C erhitzt und das dadurch entstehende Aerosol inhaliert. Bereits bei 120° C werden Cannabinoide, die zunächst in saurer Form vorliegen, pharmakologisch aktiviert. Diesen Vorgang nennt man Decarboxylierung. Ab einer Temperatur von etwa 175° C beginnen die aktivierten Cannabinoide zu sieden und zu verdampfen. Auch ein Großteil der Terpene, die in Cannabis enthalten sind, besitzen einen Siedepunkt von unter 210° C und werden im Prozess freigesetzt. Was Terpene für die Wirkung von Cannabis bedeuten, erfährst du in unserem Blogbeitrag Die Nase ist der Chef - Terpene und der Entourage-Effekt.
Wenn diese Applikationsform gewählt wird, sollte ein Verdampfer unmittelbar mitverordnet werden und in einen möglichen Kostenübernahmeantrag einbezogen werden. Derzeit stehen die Modelle MIGHTY MEDIC® (Handgerät) und VOLCANO DIGIT® (Tischgerät) als Optionen für die Kostenübernahme zur Verfügung.
Vorteile
schneller Wirkeintritt (ca. 5 – 15 Minuten)
Wirkverlauf besser einschätzbar
höhere Bioverfügbarkeit
optimale Decarboxylation
leichtere individuelle Dosierungsanpassung
Nachteile
kurze Wirkdauer (höchstens ca. 3 – 4 Stunden)
oft ungewohnte Applikationsform
Cannabisblüten sollten bei der Anwendung als Arzneimittel bevorzugt inhaliert werden. Dabei ist vom Rauchen als Joint abzuraten, da durch die Verbrennung unerwünschte, teils giftige Stoffe entstehen und Nikotin im Tabak, der oft beigemengt wird, ein extrem hohes Abhängigkeitspotenzial zeigt. Im Gegensatz zum Rauchen werden bei der medizinischen Inhalation mittels Vaporisator keine schädlichen Verbrennungsprodukte freigesetzt, welche im Nebenstrom inhaliert werden.
Beim Inhalieren der Cannabisblüten kann durch die direkte Aufnahme über die Lunge mit einem raschen Wirkeintritt gerechnet werden. Da die aufgenommenen Cannabinoide auf diesem Wege nicht über die Leber verstoffwechselt werden, besitzen sie im Vergleich zur oralen Aufnahme eine höhere Bioverfügbarkeit und es werden höhere Blutkonzentrationen erreicht (Abbildung blaue Kurve), die maximale Wirkung tritt ungefähr nach 15-20 Minuten ein und hält für 2 bis 3 Stunden an.
Orale Aufnahme
Extrakte
Neben Cannabisblüten können für die medizinische Anwendung auch Cannabisextrakte verwendet werden. Dabei handelt es sich oft um isoliertes delta9-THC, welches in Öl oder Alkohol gelöst wird. Auszüge aus Cannabis können jedoch auch per CO2, Öl oder Alkoholextraktion aus den Blüten gewonnen werden, welche dann neben den Cannabinoiden auch andere sekundäre Pflanzenstoffe enthalten. Als ölige Trägersubstanz sowohl für isoliertes delta9-THC als auch für die Auszüge bieten sich mittelkettige Triglyceride (MCT) wie etwa Kokosöl an.
Im besten Fall werden die Cannabisextrakte direkt in den Mund getropft und geschluckt. Sollte einem der Geschmack unangenehm sein, kann man die Tropfen auch auf ein Stück Brot oder Zucker geben und anschließend essen. Cannabisextrakte sollten nicht in Wasser, Saft, Tee oder Ähnlichem gelöst werden, da sich die Flüssigkeiten nicht vermischen und daher keine ausreichende Aufnahme der Inhaltsstoffe sichergestellt werden kann, wenn beispielsweise die öligen Tropfen am Gefäßrand hängen bleiben.
Im Gegensatz zur Inhalation von Cannabisblüten über die Lunge erfolgt die Aufnahme der Wirkstoffe nach oraler Applikation über den Magen-Darm-Trakt. Da die Wirkstoffe den Verdauungstrakt passieren, wird ihre Effektivität maßgeblich auch von der aufgenommenen Nahrung beeinflusst, weshalb die Wirkung unterschiedlich ausfallen kann. Auf diesem Weg erfolgt eine erste Verstoffwechselung über die Leber, sodass bereits ein Teil der Inhaltsstoffe abgebaut und die aufgenommene Wirkstoffmenge reduziert wird, bevor sie im Körperkreislauf wirken (sogenannter First-Pass-Effekt). Dadurch ist die Bioverfügbarkeit bei der oralen Anwendung von Cannabisextrakten geringer und variabler als bei der Inhalation von Cannabisblüten. Beim Abbau von THC in der Leber entsteht aber auch das Zwischenprodukt 11-Hydroxy-THC, welches wie THC pharmakologisch aktiv ist und die Wirkung der aufgenommenen Menge gleichmäßig verlängert. Dadurch bewirkt 11-Hydroxy-THC die lang anhaltende und gleichmäßige Wirkung bei oraler Anwendung.
Generell tritt bei oraler Anwendung die Wirkung durch die langsame Resorption erst nach etwa 30-90 Minuten ein, erreicht ihr Maximum nach etwa 2-3 Stunden, klingt jedoch erst nach 4 bis 8 Stunden langsam wieder ab (Abbildung rote Kurve). Bei diesem Weg der Verstoffwechselung kommt es zu einer insgesamt niedrigeren, aber langdauernden Wirkung. Durch die lang anhaltende Wirkung sowie diskrete Handhabung, können Cannabisextrakte dezent und praktikabel in den Alltag von Patienten integriert werden.
Vorteile
Alternative bei kontraindizierter pulmonaler Aufnahme
lange Wirkdauer (ca. 4 – 8 Stunden)
Nachteile
verzögerter, schwer abzusehender Wirkeintritt (ca. 30 Minuten – 3 Stunden)
schlecht steuerbarer Wirkverlauf
geringere Bioverfügbarkeit
HINWEIS - Verzehr
Von einer Applikation von Cannabisblüten durch unmittelbaren Verzehr sollte wegen der sehr schwer kalkulierbaren Dosierung verbunden mit einem deutlich verzögerten Wirkeintritt generell abgeraten werden. Wenn man sich dennoch zum Verzehr entscheidet, sollte man darauf achten, nach dem Verzehr der ersten Portion erst einige Zeit, bis zu zwei Stunden, zu warten, bevor man eine weitere Portion erwägt. Ganz nach dem Motto "Was drin ist, ist drin." kann man den Effekt nicht mehr rückgängig machen.
Pulmonale und orale Applikation
Grundlegend können die beiden beschriebenen Anwendungsmöglichkeiten weitestgehend bei gleichen Beschwerdebildern eingesetzt werden und sind generell gut kombinierbar. Aufgrund der Unterschiede in Ihrer Pharmakokinetik bieten sich jedoch andere therapeutische Schwerpunkte an.
So eignet sich die orale Anwendung von Cannabisextrakten aufgrund des flachen und lang gezogenen Verlaufs der Konzentration an Wirkstoff im Blut sehr gut als Dauermedikation wie beispielsweise bei chronischen Schmerzen. Die Inhalation von Cannabisblüten hingegen eignet sich aufgrund der sehr schnell einsetzenden Wirkung wiederum sehr gut für die Behandlung von Symptomen, bei denen eine schnelle Linderung erwünscht ist, beispielsweise als Akutbehandlung bei neuropathischen Schmerzen.
Welches Produkt bzw. welche Anwendungsform letzten Endes zum Einsatz kommt, sollte gemeinsam von Arzt und Patienten basierend auf den vorliegenden Symptomen, der beabsichtigten Wirkung und der Praktikabilität im Alltag getroffen werden. Für sowohl pulmonale und orale Applikation wird empfohlen, Snacks zur Hand zu haben, da in beiden Fällen die Nebenwirkung des gesteigerten Appetits besteht.